Details | by Marjon BroeksZu Beginn des Rituals legen die Derwische den schwarzen Umhang ab und kreuzen die Arme vor der Brust: eine Geste der Demut und Zeichen der Heimkehr in den Zustand der Ursprünglichkeit, der keine Sorge um das Leben und keine Furcht vor dem Tod kennt. 'Nur wenn der Mensch des Äußeren beraubt wird, wie es im Winter geschieht, besteht Hoffnung, dass sich ein neuer Fruhling in ihm entwickelt', so hat es Mevlana, der imaginäre Gründer des Mevlevi- Ordens, ausgedrückt. Das Ritual der tanzenden Derwische vergegenwärtigt dieses Sterben und das Wiederauferstehen in Liebe.


Nach einer Verneigung vor dem Sheikh öffnen sich die Arme und bleiben nun waagrecht ausgestreckt. Es beginnt, erst langsam, dann schneller, die Drehbewegung, gegen den Uhrzeigersinn. Die rechte Hand ist nach oben geöffnet und symbolisiert die Verbindung zum Göttlichen, die linke ist der Erde zugewandt, sie verteilt den empfangenen Segen weiter in die Welt. Die weissen, weiten Gewänder heben sich mit der Drehung, als öffne eine Blume ihre Blütenblätter. Jeder dreht sich um die eigene Achse, doch zugleich bilden die Tänzer einen Kreis, der sich ebenfalls von rechts nach links dreht.

Der Klang der Ney-Flote erinnert die Mevlevis an den göttlichen Atem der Schöpfung, durch den alles lebt, weit hinaus uber die menschliche Vorstellung von Leben und Tod: 'Siehe, ich starb als Stein und ging als Pflanze auf, starb als Pflanz’ und nahm drauf als Tier den Lauf, starb als Tier und ward ein Mensch. / Was fürcht ich dann, / da durch Sterben ich nicht minder werden kann? / Wieder, wann ich werd als Mensch gestorben sein, / wird ein Engelsfittich mir erworben sein, / und als Engel muss geopfert sein ich auch, / werden, was ich nicht begreif: ein Gotteshauch.' So Mevlana in der Übersetzung Friedrich Ruckerts. Nail Kesova, der Sheikh des Ensembles, erklärt dazu: 'Im Klang der Ney-Flöte, in der Musik und bei diesem Drehen wiederholen wir innerlich ohne Unterbrechung Gottes Namen, Allah, Allah. Wir versuchen, in der Musik seinen Ruf zu hören – daher nennen wir unser Ritual 'sema', das bedeutet 'hören'. Wir hören aus dem Klang der Flöte aber auch eine Klage. […] Traditionell sagt man: Sie klagt, weil sie von ihrem göttlichen Ursprung getrennt wurde. Aber stellen wir uns weiter vor: Die Ney, das ist der Mensch. Um zu diesem schönen Klang zu kommen, schneidet man das Schilfrohr am Flussufer, man hält es übers Feuer, man biegt es gerade, man schnitzt es zurecht – bis es endlich klingt. Menschen brauchen Erziehung, Ausbildung, Arbeit an sich selbst. Einfach abschneiden, das reicht nicht. Das wäre wie ein Mensch, der noch nicht einmal angefangen hat zu begreifen, wer er ist und welchen Platz er in dieser Welt einnimmt. Das würde keinen guten Klang und keine ergreifende Klage geben …'

(Text: Christoph Hahn)


Das Sema-Ritual besteht aus sieben Teilen:

 
1. Er beginnt mit einer Lobpreisung des Propheten, der die Liebe verkörpert, und aller Propheten vor ihm.
 
2. Der Trommelschlag symbolisiert den Befehl Gottes: 'Sei!'
 
3. Es folgt eine Instrumentalimprovisation 'Taksim' mit der Rohrflöte. Sie stellt den göttlichen Hauch dar, der allem Leben gibt.
 
4. Der vierte Teil ist der gegenseitige Gruss der Semazen, deren dreimal wiederholter Rundgang von Musik begleitet wird. Es ist der Gruss von Seele zu Seele, die in den Formen und Körpern gehüllt sind.

5. Der fünfte Teil ist das eigentliche Sema-Ritual. Es besteht aus vier Grüssen.
Der erste Gruss ist die Geburt des Menschen zu Wahrheit. Ihm liegt die Konzeption zugrunde, dass das Individuum einen Schöpfer hat und selbst Geschöpf ist.
Der zweite Gruss drückt das Entzücken des Menschen über die Grösse und Allmacht Gottes in der Schöpfung aus.
Der dritte Gruss ist die Umwandlung des Entzückens in der Liebe und somit das Opfer des Verstandes an die Liebe. Es ist eine vollständige Unterwerfung, das Auslöschen des Selbst im Geliebten. Dies ist Einheit! Während dieses Grusses können die Semazen tatsächlich einen Zustand der Ekstase erreichen, nach der Beendigung dieses Grusses sind sie jedoch aus diesem Zustand entlassen. Das Ziel des Sema ist nicht ungebrochene Ekstase und der Verlust des bewussten Denkens.
Wäre es das, dann gäbe es keinen Gruss und keine Stationen.
Der vierte Gruss ist das In-Einklang-Kommen des Semazen mit seinem Schicksal, seine Rückkehr zu seiner Aufgabe in der Schöpfung, zu einem Zustand des Dienens, der auf die Beendigung seiner spirituellen Reise und seines Aufstiegs folgt.
 
6. Das Sema-Ritual endet mit einer Lesung aus dem Koran.
 
7. Daran schließt die Fatiha an zum Heil der Seelen aller Propheten und aller Gläubigen.

Eine Besonderheit dieses jetzt sieben Jahrhunderte alten Rituals ist die Weise, wie in ihm die drei grundlegenden Komponenten der menschlichen Natur vereinigt sind:
der Geist (Wissen, Denken), die Liebe (Gefühle, Poesie, Musik) und die Seele (Leben, Bewegung, Sema).
 
(Text: Dr. Celaleddin Celebi)


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